Vielschichtiger Mythos (Labyrinthiade)

BLOG: Labyrinth des Schreibens

Die Suche nach dem roten Faden
Labyrinth des Schreibens

In der Labyrinth-Sage sind im Grunde sieben verschiedene Geschichten enthalten. Diesen Gesamtkomplex bezeichne ich als die Labyrinthiade.
Da ist zum einen das Labyrinth-Symbol – gewissermassen eine Geschichte (oder sogar zwei) für sich. Denn es tritt zwar immer wieder im Zusammenhang mit den sich ums Labyrinth rankenden Erzählungen auf – aber das bedeutet keineswegs, dass beides – Symbol und Erzähklungen – immer schon zusammengehört haben.
Die Angelegenheit wird noch komplizierter, weil man – und zwar offenbar schon seit Platons (427 – 347 v.Chr.) Zeiten (also um 400 vChr) – mit Labyrinth eigentlich einen Irrgarten meinte und gerade nicht die klare Struktur mit einem einzigen Gang, wie sie beispielsweise im Birkenlabyrinth von Bürchen vorliegt.

 

A. Das gezeichnete Labyrinth-Symbol

Wie ist das Labyrinth-Symbol entstanden? Es gibt grundsätzlich zwei Möglichkeiten:

 

1. Jemand hat dieses Zeichen bewusst konstruiert.

Aber wer? Vielleicht ein genialer antiker Mathematiker wie Pythagoras? Das ist gar nicht so weit hergeholt, denn in diesem Symbol kann man so etwas wie den Versuch sehen, Kreis und Quadrat zusammenzubringen: Wie man in der Zeichnung (s.u.) sehen kann, wird das (kretische) Labyrinth aus sehr einfachen Grundzeichen konstruiert:
° einem Kreuz,
° vier Rechtecken in den vier Ecken dieses Kreuzes
° und vier Punkten, die wiederum in diese Rechtecke gesetzt werden,
° wonach man, abwechselnd von rechts nach links und von links nach rechts die sieben Bögen herstellt.

Abb.: Geometrischer Aufbau eines Labyrinth-Symbols (Graphik: JvS) 

 

2. Labyrinth-Tanz als Vorlage

Es könnte aber auch sein, dass ein ursprünglich viel einfacherer Tanzablauf, wie man ihn von vielen Frühlings-Tänzen der Kultur der jungsteinzeitlichen Ackerbauern und Viehzüchter (ab dem 10. vorchristlichen Jahrhundert) kennt, sich allmählich zu einer immer komplizierteren Choreographie entwickelte, die man schliesslich auf dem Boden eines Tanzplatzes aufzeichnete (vielleicht als Mosaik?)

Tanzplätze dieser Art waren wahrscheinlich die (mindestens) 4000 Jahre alten Troja-Burgen. Solche Labyrinth- Fruchtbarkeits –Tänze der Jünglinge und jungen Mädchen beim Übergang ins Erwachsenenleben werden in Griechenland heute noch aufgeführt.

Aus so einer Choreographie-Zeichnung könnte jemand dann – in verkleinerter Form – jenes Symbol entwickelt haben, das man auf dem ältesten bis heute bekannten archäologischen Fundstück dieser Art entdeckt hat: dem Steintäfelchen von Pylos (etwa 1200 v. Chr.).

B. Die achtfache Labyrinth-Erzählung
Die Labyrinthiade ist, wenn man so will, ein abenteuerlicher Kriminal-Roman. Er beginnt mit einer Entführung, steigert sich zu einem heimtückischen Mord, endet mit einem ebensolchen – und erreicht seinen Höhepunkt mit einem tödlichen Zweikampf. Hier die einzelnen Erzählstränge:

3.1 Die Entführung
Göttervater Zeus verliebt sich in Prinzessin Europa, Tochter des orientalischen Herrschers Phönix, und entführt sie in Gestalt eines Stiers auf seinem Rücken auf die Insel Kreta. Dort zeugt er mit ihr drei Söhne: Minos, Sarpedon und Rhadamanthis. Minos tötet seine Bruder-Rivalen, wird zum Herrscher Kretas und zum Begründer der abendländischen Kultur. Er schafft die ersten Gesetze dieser frühesten Hochkultur auf europäischen Boden.

3.2 Die Heldenreise
Prinz Theseus kämpft  im Labyrinth mit dem Minotauros, um das Leben athenischen Geiseln  zu retten, die dem Ungeheuer als Tribut geopfert werden sollen. Dabei hilft ihm Prinzessin Ariadne mit einem Schwert und dem zum geflügelten Wort gewordenen Roten Faden

3.3 Das Erfindergenie mit mörderischen Exzessen
Eine dritte Geschichte handelt vom griechischen Erfindergenie Daidalos. Zunächst muss er seine Heimatstadt Athen verlassen, weil er – aus Eifersucht – seinen begabten Lehrling und Neffen Perdix ermordete, und gerät auf diese Weise an den kretischen Königshof. Dort wird er Erbauer und bald auch Gefangener des Labyrinths. Es gelingt ihm, mit seinem Sohn Ikaros (den er mit der Sklavin Naukrate zeugte) mit Hilfe künstlicher Flügel aus dem Labyrinth zu fliehen und sich nach Sizilien zu retten. Dorthin verfolgt ihn der zornige Minos – um von Daidalos heimtückisch ermordet zu werden.

3.4. Die Vorgeschichte der Heldenreise
Theseus wiederum hat eine – sehr lange – Vorgeschichte, in der er viele Ungeheuer tötet und sich auf seine spätere Zeit als König von Athen vorbereitet.

3.5 Die Nachgeschichte der Heldenreise
Die lange, weise Herrschaft des Theseus über Athen, wegen der man ihn noch heute als größten König dieser Stadt und Kultur preist, endet jedoch schmählich in Verrat: die Athener verbannen den König aus der Stadt. Noch während seiner Athener Zeit gewährt Theseus dem unstet durch die Mittelmeerwelt irrenden blinden Ödipus und seiner Tochter Anigone Asyl; vielleicht ist Theseus deshalb der einzige Mensch, der weiß, wo sich das Grab des unglücklichen thebanischen Königs befindet.

3.6 Medeas Rachsucht und Mordlust
Dann wäre da noch die Geschichte von Theseus´ Stiefmutter Medea und – indirekt – auch das abenteuerliche Leben von deren echtem Sohn Jason (der mit seinen Argonauten das Goldene Vlies von Kolchis erobert).

3.7 Phädras Tragodie
Außerdem ist da noch die völlig eigenständige Geschichte von Theseus´ zweiter Frau Phädra (wenn man Ariadne sinnvollerweise als seine erste "Frau" betrachtet, obwohl die beiden keine Ehe im üblichen Sinn führten, wenn daraus auch ein Kind entstand).

3.8. Ariadnes Triumph
Last but not least ist da Ariadnes Geschichte, Theseus´ Geliebter , die in einem Heiligtum des Dionysos auf der Insel Naxos und in ihrem Triumph als Sternbild endet – und die damit eigentlich das Schicksal des Theseus noch weit überragt.

 

"Zwei Seelen wohnen a(u)ch in meiner Brust." Das Schreiben hat es mir schon in der Jugend angetan und ist seitdem Kern all meiner Tätigkeiten. Die andere „zweite Seele“ ist die praktische psychologische Arbeit plus wissenschaftlicher Verarbeitung. Nach dem Psychologiestudium seit 1971 eigene Praxis als Klinischer Psychologe. Zunächst waren es die Rauschdrogen, die mich als Wissenschaftler interessierten (Promotion 1976 mit der Dissertation "Der falsche Weg zum Selbst: Studien zur Drogenkarriere"). Seit den 1990er Jahren ist es das Thema „Hochbegabung“. Mein drittes Forschungsgebiet: Labyrinthe in allen Varianten. In der Themenzentrierten Interaktion (TZI) nach Ruth C. Cohn fand ich ein effektives Werkzeug, um mit Gruppen zu arbeiten und dort Schreiben und (Kreativitäts-)Psychologie in einer für mich akzeptablen Form zusammenzuführen. Ab 1978 Seminare zu Selbsterfahrung, Persönlichkeitsentwicklung und Creative Writing, gemeinsam mit meiner Frau Ruth Zenhäusern im von uns gegründeten "Institut für Angewandte Kreativitätspsychologie" (IAK). Als "dritte Seele" könnte ich das Thema "Entschleunigung" nennen: Es ist fundamentaler Bestandteil jeden Schreibens und jedes Ganges durch ein Labyrinth. Lieferbare Veröffentlichungen: "Kreatives schreiben - HyperWriting", "Kurzgeschichten schreiben", "Das Drama der Hochbegabten", "Zeittafel zur Psychologie von Intelligenz, Kreativität und Hochbegabung", "Blues für Fagott und zersägte Jungfrau" (eigene Kurzgeschichten), "Geheimnis der Träume" (Neuausgabe in Vorbereitung). Dr. Jürgen vom Scheidt

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