Der Eid des Präsidenten

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Das Ritual der Vereidigung des neuen US-Präsidenten – der Kern der sog. Inauguration Ceremony – dauert etwa 30 Sekunden, deren Ablauf und Text durch Verfassung und Tradition genau bestimmt werden. Und doch ist auch dieses zivilreligiöse Ritual ständigem, dynamischen Wandel unterworfen. Ein Bericht aus Washington.

 

George Washington tat es erstmals 1789 in New York (denn die nach ihm benannte Stadt war noch gar nicht gegründet): die Inauguration. Dieses zivilreligiöse Ritual (für dessen Benennung die römischen Auguren, weissagende Priester, Pate standen) feiert die friedliche Übergabe von Macht (amerik. "Transition of Power") und ist für US-Amerikaner ein Höhepunkt des zivilreligiös-politischen Lebens: Denn in diesem Zeitpunkt treffen sich die Werte von Rechtsstaatlichkeit (das Ende einer auf Zeit verliehenen Macht) mit Demokratie (dem Amtsantritt des Gewählten) und Freiheit (der Feier der Verfassung und damit staatlichen Unabhängigkeit). Entsprechend genau regelt die US-Verfassung in Amendment 20, Absatz 1, sogar die Zeit:

"Die Amtszeit des Präsidenten und Vize-Präsidenten soll um 12.00 Uhr mittags des 20. Januar und die Amtszeit der Senatoren und Mitglieder des Repräsentantenhauses um 12.00 Uhr mittags des 3. Januar im Jahre nach der Wahl enden und die Amtszeit der Nachfolger soll dann beginnen."

Zu Deutschland, der Schweiz und Österreich bestehen 6 Stunden Zeitunterschied, dort war es also am 20.1. um 18 Uhr.

Das Ritual der Vereidigung

Die Inauguration dauert inzwischen mehrere, rituell feierlich strukturierte Tage, dessen Herzstück aber die Vereidigung von ca. 30 Sekunden ist. Die Verfassung schreibt für sie in Artikel II, Absatz 1, Paragraf 7 eine bestimmte Eidesformel vor, die der neue Präsident vor dem Vorsitzenden Richter des Höchsten Gerichtes (Chief Justice of Supreme Court) sprechen wird:

"I do solemnly swear (or affirm) that I will faithfully execute the office of the President of the United States, and will to the best of my ability, preserve, protect and defend the Constitution of the United States."

In Übersetzung: ""Ich schwöre (oder bekräftige) feierlich, dass ich das Amt des Präsidenten treu ausführen werde und mit allen meinen Möglichkeiten die Verfassung der Vereinigten Staaten erhalten, schützen und verteidigen werde."

1. "…so help me God!"

Alles klar?! Aber nein: Die vorsagenden Richter und einzuführenden Präsidenten ergänzen den Eid seit langem durch ein "..so help me God." – "…möge Gott mir beistehen." Und werden das auch am Dienstag, dem 20.01.2009 tun.

Laut Tradition soll schon George Washington selbst diesen Zusatz demütig eingefügt haben, historisch sicher belegt ist er jedoch erst seit Chester Arthur 1881. Und so gehört zum "Ritual" inzwischen auch, dass religionskritische Einzelpersonen und Organisationen den vorsitzenden Richter vor jeder Amtseinführung des Verfassungsbruchs anklagen, da der Zusatz im Verfassungstext nicht enthalten und außerdem ein Bruch der Trennung von Kirche und Staat sei. Und die Gerichte weisen diese Anklagen jedes Mal zurück, zumal stabil über 80% der US-Amerikaner die Beibehaltung des Gotteszusatzes wünschen.

2. Das Buch

Sehr viel weniger Disput gibt es um das verwendete Buch: Meist jene King James-Bibel der Freimaurerloge St. John, auf die Washington 1789 geschworen hatte, nachdem die eigentlich vorgesehene Bibel nicht zum Ritual gebracht worden war. Barack Obama griff dagegen auf die Bibel von Abraham Lincoln zurück, damit auf den Zusammenhalt der Vereinigten Staaten und das Ende der Sklaverei verweisend. 

Warum aber ist das kaum umstritten? Weil die freie Wahl der Schrift zur amerikanischen Eidestradition gehört. So haben Präsidenten vereinzelt Familienbibeln verwendet (z.B. Ronald Reagan), eine Ausgabe der Verfassung (z.B. John Quincy Adams) oder auch nur die Hand gehoben (z.B. Teddy Roosevelt, da sein Vorgänger ermordet worden war und das Ritual hastig vollzogen wurde). US-Abgeordnete haben ihre Amtseide längst auf verschiedenste Versionen christlicher und jüdischer Bibeln, das Buch Mormon, die Verfassung und zuletzt auch auf den Koran (z.B. Keith Ellison, 2007) geleistet. Das Buch soll den Eidenden binden und wird daher als dessen persönliche Wahl betrachtet. Manchmal aber spielt auch höhere Gewalt hinein: Als George W. Bush wie sein Vater vor ihm die Washington-Bibel verwenden wollte, regnete es, so dass statt des historischen Stücks eine Familienbibel verwendet werden musste – was zu einer neuen Tradition der Bush-Familie wurde.

Washingtons Hand fiel übrigens auf die hastig aufgeschlagene Seite von Genesis (1. Mose) 49, Vers 13. Ein Verzeichnis der Bibelstellen, die die Eidenden berührten finden Sie hier – näher kann man dem augurischen Zeichendeuten wohl kaum kommen…

3. Die First Lady

Wenn der Richter vorsagt und der Präsident schwört – wer hält dann währenddessen die Bibel? Bei Washington war es der Secretary of State (Außenminister) und auch danach blieben es ranghohe Politiker. Lyndon B. Johnson bat jedoch 1965 seine Frau darum – und änderte damit das Ritual wohl für immer. Das Bild der First Lady zwischen den Machthabern, zugleich Partnerin des Präsidenten und Zeugin des Geschehens, schlug sofort ein und wurde seitdem zur ununterbrochenen Tradition. Obwohl inzwischen auch die Secretary of State eine Frau (Hillary Clinton) wäre – Michelle Obama hielt die Bibel.

 

Es sind nur 30 Sekunden Ritual…

…aber sie geben als mächtiges Symbol Zeugnis von Stetigkeit und Wandel einer großen, zivilreligiösen Tradition. Und nachdem vor allem bei dieser Inauguration Milliarden Menschen weltweit das Geschehen (überwiegend mit Sympathie und Hoffnung) verfolgen werden, ist mit hoher Sicherheit zu erwarten, dass sich auch die Amtseinführungsrituale anderer Demokratien feierlich erhebend weiter entwickeln werden. Denn religiöses Verhalten gehört nun einmal zur Natur des Menschen… 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

13 Kommentare

  1. @ so help me God

    Danke für den informativen Beitrag. Von Obama wird weltweit sehr viel erwartet. Und wenn ich mich nicht irre, hat er sich selbst auch viel vorgenommen. Daher kann der Zusatz “so help me God” nur nützlich sein. 😉
    Freue mich auf die nächsten Berichte aus den USA.

  2. Ach

    “Du hast ja jetzt den gleichen Vornamen wie der US-Präsident, wer hätte das gedacht!”

    Das fällt Dir jetzt erst auf?

  3. @ Michael

    Zu meinem Vornamen habe ich dir gerade auf meinem Blog geantwortet.
    Ich habe den Beitrag gelesen und finde es wirklich toll, was ihr dort für die Kinder geleistet habt. Ganz große Klasse!
    Genieß den Aufenthalt weiterhin und schreib uns fleißig von deinen Erfahrungen.
    Und viel Spaß bei der Amtseinführung!

  4. Obama nutzt Lincolns Bibel

    Freunde der Verschwörungstheorien werden enttäuscht sein – Barack Obama hat entschieden, nicht die Washington-Bibel aus der Freimaurerloge zu verwenden, sondern eine Bibel aus der Bibliothek des Kongresses, die vor ihm nur Abraham Lincoln verwendet hat.

  5. Pingback:War Barack Obama ein gescheiterter Messias? Anmerkungen zu einem Problem säkular-politischer Kultur › Natur des Glaubens › SciLogs - Wissenschaftsblogs

  6. Sehr schöner Bericht. Die Ichform und Anwesenheit dort vermisse ich, ist (wäre) sie doch ein spannender erheblicher Mehrwert.
    Und interessant finde ich auch, 12 Jahre später ein Interview Obama und Springsteen: Gemeinsam gegen den “Groll in uns
    24.10.2021

    Der ganze Blog scheint eine einzige Fundgrube.
    Vielen Dank auch von diesem – mir als – Leser. 🙂 <3

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