Aschura-Aufstand im Iran – Religion trifft Twitter

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Evolutionsgeschichte der Religion(en)
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An Aschura gedenken schiitische und alevitische Muslime des Todes von Imam Hossein in Kerbela, der mit seiner kleinen Gefolgschaft von einer überlegenen Streitmacht eines Despoten getötet wurde. In vielen schiitischen Ländern, besonders im Iran, geht dieses Gedenken mit Klagen und Selbstvorwürfen (bis hin zu Selbstgeißelungen) einher, da die damaligen Hilfegesuche des Imam Hossein nicht erhört worden waren.

Es war klar, dass Aschura 2009 für das Regime in Iran problematisch werden würde: Denn einerseits kann das dem Namen nach "islamische" Regime den Gedenktag unmöglich untersagen, andererseits sind die symbolischen Parallelen zum Aufstand der Menschen heute zu offenkundig. Schon bisher hatte sich die Oppositionsbewegung um die Farbe Grün (u.a. des Islam, der Überlieferung nach die Lieblingsfarbe des Propheten Muhammad) geschart und damit die religiöse Legitimation des Regimes direkt attackiert.

Und dann verstarb auch noch Großayatollah Hossein (!) Ali Montaseri vor genau sieben Tagen: Der Geistliche im höchsten, theologischen Rang des schiitischen Klerus war unter dem Schah inhaftiert und jahrelang Weggefährte Khomeinis gewesen, der ihn sogar als "Frucht meines Lebens" gerühmt und als Nachfolger vorgesehen hatte – bis sich Montaseri gegen die zunehmende Unterdrückung der Bevölkerung durch das "islamische" Regime wandte, in Ungnade fiel und unter Hausarrest gestellt wurde. Das hinderte Montaseri nicht daran, mit einer scharfen Fatwa die Wahlfälschungen des jetzigen Diktators Ahmadinedschad anzuprangern und sich hinter die Demokratiebewegung um den betrogenen Wahlgewinner Hossein (!) Mosavi zu stellen. Der jetzige, höchste Staatsgeistliche des Iran, Ayatollah Khamenei, errang dagegen weder den theologischen Rang noch die Beliebtheit Montaseris, dessen Tod traditionell nach sieben Tagen öffentlich gedacht werden sollte – also ebenfalls heute, an Aschura 2009.

 

Religiöse Symbolik und neue Medien bilden Gegenöffentlichkeit

Und so erlebte der Iran heute einen Aufstand, in dem religiöse Symbolik und neue Medien – trotz Blockadeversuchen des Regimes – eine Gegenöffentlichkeit errichteten, die die Legitimation des Regimes untergrub. Beachten Sie beispielsweise bei diesem Video, wie die Menschen die Ereignisse auf ihren Handys und Kameras dokumentieren, von wo sie weitergeleitet und schließlich online gestellt werden.

 
Eine besondere Rolle in der Selbstorganisation und internationalen Kommunikation des Aufstands spielen auch Online-Dienste wie Weblogs (Blogs), Facebook und Twitter, die an die Stelle früherer "klassischer" Kommunikationsstrategien (v.a. Besetzung von Radio- und Fernsehstationen) getreten sind. Dabei konzentrierte sich die Berichterstattung auf Twitter vor allem über die Hashtags #Iranelection und #Ashura. So verbreitete sich dieses Bild eines jungen Aufständischen im Angesicht iranischer Polizei v.a. unter der Bezeichnung "David gegen Goliath" und dürfte seine Wirkung über den Tag hinaus erhalten.

Solidarität aus China  

Im Verlauf des Tages rückte dann aber auch ein weiteres, interessantes Twitter-Hashtag unter die TOP10: #CN4Iran – für "China for Iran". Wenige, dann Dutzende, schließlich Hunderte chinesischer Blogger übersetzten und unterstützten die Protestwelle im Iran, nicht wenige bekundeten ihre Begeisterung "für Euer Vorbild beim Sturz einer Diktatur"…

Ebenfalls erfolgreich #Gaza

Und nicht einmal die Vermutung, hier hätten einfach westliche "Kreise" ein virtuelles Ereignis zitiert, ließ sich so einfach erhärten: Denn ein drittes Protest-Thema gedachte des Jahrestages des Gaza-Krieges und erreichte ebenfalls die TOP 10.

Nicht alles ist Gold im Internet und es mangelt nicht an Missbrauch und Manipulation (wie es sie ja auch bei klassischen Medien gab und gibt). Aber erkennbar wird doch, dass sich durch das Internet neue Aktionsräume für Basisbewegungen in Politik(en) und Religion(en) (und übrigens auch Wissenschaften!) eröffnen, sich alte und neue Symbole verknüpfend aneignen. Wie damals in Kerbela so verüben auch heute noch Despoten Gewalttaten – aber die Welt erfährt es, schneller denn je, die "Schwachen" erhalten eine Stimme. Wie auch immer die Schlacht des Tages ausgeht – dies wird eine Botschaft bleiben von Aschura 2009.

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

1 Kommentar

  1. Times Online

    Gerade ist in TimesOnline ein lesenswerter Artikel zum Thema Ashura-Symbolik und Regimekritik von Professor Ali Ansari, Direktor des Instituts für Iranstudien an der schottischen St. Andrews University erschienen:

    “Ancient power struggle has relevance for today’s Iran”:
    http://www.timesonline.co.uk/…article6969092.ece

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