Deidesheimer Bloggertreffen & Dank für Scilogs-Preis

BLOG: Natur des Glaubens

Evolutionsgeschichte der Religion(en)
Natur des Glaubens

Schon das erste Treffen von Wissenschaftsbloggern letztes Jahr in Deidesheim war legendär gewesen: Hier endlich traf der Neurobiologe auf den Philosophen, die Physikerin auf den Archäologen, der Kosmologe auf die Psychologin – und die Leidenschaft für neue Wissenschaftskommunikation, für den Dialog und das Vernetzen verband. Es war genial! Und heute lässt sich sagen: Der "Geist von Deidesheim" kam in 2009 erneut auf, diesmal in sogar noch größerer und bunterer Runde.

Scilogs-Preis

Ganz am Ende hat er mich aber auch überrollt, der Deidersheimer Geist (obwohl ich die Weinprobe diesmal verpasst hatte). Als der belgische Wissenschaftsjournalist Reinout Verbeke "Natur des Glaubens" in einer persönlichen Ansprache für den Scilogs-Preis 2009 nominierte, hatte ich einen Kloß im Hals. Als dann auch noch in das Ergebnis der Abstimmung unter den mehr als 40 Wissenschaftsbloggern bekannt gegeben wurde, war ich wie benommen.

Denn wenn ich eine Grunderfahrung in der wissenschaftlichen Blogosphäre machen konnte, dann ist es das "kritische Interesse". Als Religionswissenschaftler, der zur Evolutionsbiologie der Religiosität forscht, trifft man im Normalfall auf nachfragende Skepsis von beiden wissenschaftlichen "Lagern" der Geistes- und Naturwissenschaften wie auch auf sehr viele Leute, die unbedingt ihre ganz persönliche (religiöse oder im Internet überwiegend religionskritische) Auffassung loswerden und bestätigt haben wollen. Das ist okay, ja großartig so, führt zu intensiven Dialogen und ich habe es nicht anders gewollt. Aber es ist auch oft zeitintensiv, anstrengend, ein tägliches Ringen. Und Anerkennung, Schulterklopfen bleiben dabei eher selten, man ist oft ein bissl alleine. Umso mehr hat mich der Preis wirklich berührt.

Danke, Leute, für diese Auszeichnung – aus ganzem Herzen!

 

Bloggen & Printmedien – Von der Konkurrenz zur Chance

Dem interessanten, wenn auch erstaunlich pessimistisch gehaltenen Vortrag von FAZ-Wissenschaftschef Joachim Müller-Jung (in der Guten Stube von Carsten Könneker & kommentiert auch bei Menschen-Bilder von Stephan Schleim) hatte ich ja schon in der Diskussion kurz in einigen Aspekten widersprochen. Denn unbestritten ist ja wahr, dass das Internet nicht nur dem bezahlten Print-, sondern zunehmend auch dem Radio- und Fernsehjournalismus immer mehr zusetzt.

Dennoch glaube ich, dass sich zunehmend auch Brücken herausbilden – nicht zuletzt in den Scilogs zu beobachten. Denn natürlich expandiert das Internet enorm und die Schlagzeilen der Nachrichtenagenturen, die sonst gerne als Kundenfang eingesetzten Nackedeis und die Wettervorhersagen, sogar politische Essays und Diskussionen sind im Netz zunehmend leicht und kostenfrei zu haben. Wer nur das zu bieten hat, wird es auch mittelfristig schwer haben, ja. Aber bedeutet das, dass Qualität nicht mehr nachgefragt wird? Im Gegenteil!

Gerade wer Fluten von Informationen ordnen will, der sucht die glaubwürdige Quelle, das sauber recherchierte Magazin. Gerade wer mit anderen über Themen diskutiert und nicht nur Allgemeinplätze absondern will, greift nach dem vertiefenden Buch. Gerade wer Herr über hundert Kanäle, Streams und Timeshift ist, pickt sich eben gezielt die Fernseh- und Radiosendungen heraus, die inhaltlich und optisch auch etwas bieten. Jede Wette: Die Leser der Scilogs lesen überdurchschnittlich oft Wissenschaftsmagazine und -seiten, kaufen häufiger Sachbücher, auf die sie im Netz gestoßen sind und genießen öfter Terra X, Planet Erde & Co., dafür seltener Big Brother und Dieter Bohlen. Und in und über Blogs werden neue Themen entdeckt, die Lust an Wissen und Wissenschaft erfahrbar.

Blogs & die Zukunft der Wissenschaft

In zwei Sätzen von Joachim Müller-Jung in der Guten Stube, die wohl eigentlich bloggende Wissenschaftler eher abwerten sollten, werden m.E. zentrale Chancen der Wissenschaftsblogs gerade deutlich. Er schreibt dort:

"Spitzenforscher forschen, forschen und forschen. Ihre Zeit ist noch kostbarer als die aller anderen. Sie schreiben bestensfalls Förderanträge, ansonsten ist ihnen vor allem daran gelegen, dass ihre Leistungen dort ankommen, wo die Entscheider, Multiplikatoren und Meinungsbilder sitzen."

Und genau dazu würde ich sagen: Spitzenforscher zeichnen sich längst nicht mehr durch isoliertes Forschen aus, sondern durch Vernetzen. Inzwischen werden in allen Wissenschaftsbereichen solche Unmengen von Befunden produziert, dass die Verknüpfung und Integration des Wissens enorm an Bedeutung gewinnt. Konkret aus meinem Forschungsbereich: Die Dynamik der letzten Jahre in der Evolutionsforschung zur Religiosität läßt sich vor allem dadurch erklären, dass nun endlich über das Internet und dadurch (!) Kontakte und Kongresse die Befunde von Soziologen, Psychologen, Anthropologen, Archäologen, Medizinern, Neuro- und Evolutionsbiologen, Demografen, Gen- und Zwillingsforschern und schließlich Philosophen, Theologen und Religionswissenschaftlern u.v.m. wie bei einem Puzzel zusammenfinden. Keine Disziplin alleine hätte solche Fortschritte gemacht – und auch die fachlichen Laien in der Blogosphäre, die Studien finden, diskutieren, verbreiten und propagieren, haben ihren Anteil am Wissenschaftsfortschritt, konkret am neuen Drall im Darwinjahr.

Und wer sind die "Entscheider, Multiplikatoren und Meinungsbilder", auf die es bei der Entwicklung einer Wissenschaftskultur ankommt? Es sind keinesfalls mehr nur betagte Herren (und wenige Damen) in den Gremien. Zentrale Entscheider sind die Kunden, die sich für oder gegen Qualitätsprodukte entscheiden, die Wähler, die Parteien und Kandidaten auch nach Bildungs- und Wissenschaftskompetenz gewichten. Die Multiplikatoren par excellence sind die Eltern, die ihren Kindern heute vorleben, ob Wissenschaft in Zeitung, Buch, Film & Blog spannend ist und ob man im Internet nur ballern oder auch coole Inhalte finden kann. Vor allem sie entscheiden, ob es in Deutschland auch zukünftig noch Breiten- und Spitzenforschung gibt. Die Meinungsbilder sind jene, die sich selbst auch im Internet recherchierend Meinungen bilden, diskutierend einbringen, statt nur passiv zu konsumieren, was ihnen andere (politisch oder auch journalistisch) buchstäblich "vor-schreiben". Vor allem über Bücher und das Internet begründete beispielsweise der politische Außenseiter Barack Obama seine Kampagne, die ihn ins Weiße Haus führte und mobilisierte Millionen, die oft seit Jahrzehnten nicht oder noch gar nie gewählt hatten. Ein Qualitätsverlust z.B. gegenüber dem Vorgänger, der noch auf Fox News, Print- und Fernsehwerbung setzte? Ich würde sagen, nein.

Das Internet ermöglicht und befördert kulturelle Veränderungen – in Politik und Medien, in Freizeit, Kultur und Wissenschaft. Dagegen kann man sich stellen. Oder es mitgestalten. Es freut mich zu beobachten: Immer mehr Menschen entscheiden sich für die zweite Option. Und haben Recht damit! 

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Dr. Michael Blume studierte Religions- und Politikwissenschaft & promovierte über Religion in der Hirn- und Evolutionsforschung. Uni-Dozent, Wissenschaftsblogger & christlich-islamischer Familienvater, Buchautor, u.a. "Islam in der Krise" (2017), "Warum der Antisemitismus uns alle bedroht" (2019) u.v.m. Hat auch in Krisenregionen manches erlebt und überlebt, seit 2018 Beauftragter der Landesregierung BW gg. Antisemitismus. Auf "Natur des Glaubens" bloggt er seit vielen Jahren als „teilnehmender Beobachter“ für Wissenschaft und Demokratie, gegen Verschwörungsmythen und Wasserkrise.

12 Kommentare

  1. “Hier endlich traf der Neurobiologe auf den Philosophen, die Physikerin auf den Archäologen, der Kosmologe auf die Psychologin …”

    … und alle trafen auf den Ingenieur. 😉
    Kann es sein, daß ich der einzige Ingenieur bei den Deidesheimer Treffen war? Hm.

    “Als der belgische Wissenschaftsjournalist Reinout Verbeke “Natur des Glaubens” in einer persönlichen Ansprache für den Scilogs-Preis 2009 nominierte, hatte ich einen Kloß im Hals. Als dann auch noch in das Ergebnis der Abstimmung unter den mehr als 40 Wissenschaftsbloggern bekannt gegeben wurde, war ich wie benommen.”

    Das hat man Dir wirklich angesehen. Herzlichen Glückwunsch auch nochmal von mir hier an dieser Stelle.
    Du hattest mit Go for Launch und der KlimaLounge auch zwei wirklich harte Konkurrenten.

  2. Herzlichen Glückwunsch

    Hallo Herr Dr. Blume,

    herzlichen Glückwunsch zum Scilogs- Preis 2009, der Ihnen in meiner pfälzischen Heimat verliehen wurde. Im Wein steckt scheinbar doch wirklich Wahrheit. Und dass ihre Blogger-Kollegen hier in Deidesheim erkannt haben, dass sich hinter der “Natur des Glaubens” eine Zukunftsfrage verbirgt, freut mich zweifach.

    Das Internet kann Brücken bauen, lässt kreative Verbindungen schlagen, über alte geistig-kulturelle Grenzen hinweg. Das wird gerade auch bei Ihnen immer wieder deutlich.

    Und wer wie ich auf die Vernünftigkeit des natürlichen evolutionärens Werdens baut, darin eine kreative=schöpferiche Bestimmung(als Natur des Glaubens) nachdenkt, der ist sicher, dass uns die neuen Kommunikationsmöglichkeiten nicht gegeben sind, um Unsinn auszutauschen, die Zeit zu vertreiben oder sich gegenseitig anzufeinden, sondern das Internet zu nutzen, um auf kreative Weise Zukunft zu gestalten, gemeinsam neue Ideen zu entwickeln.

    Hierbei weiterhin viel ER-folg!

    Gerhard Mentzel

  3. Wenn du das als Augen- und Ohrenzeuge auch so siehst, habe ich das mit dem pessimistischen Ton von Herrn Müller-Jung wohl doch nicht falsch eingeschätzt.

    Aber wie konntest du denn nur die Weinprobe verpassen? *jammer* Schande über dein Haupt!

    Übrigens, meine Stimme hättest du auch gehabt 😉 (Soviel zum Thema “anonyme Wahl”)

  4. @ Michael

    Lieber Michael, ich freue mich sehr für dich. Herzlichen Glückwunsch!
    Schade, dass ich nicht dabei sein konnte. Ich hoffe, es klappt nächstes Jahr.

    Weiterhin alles Gute,
    Hussein

  5. @ Martin: Der Ingenieur…

    …hats schwer, noch dazu, wenn zu der Technik noch der Faktor Mensch tritt!

    Der Vorteil aber: Menschen finden eben auch toll, was man tut. Und das gilt auch sehr für Dich, da kann ich für alle Scilogger sprechen! 🙂

  6. @ Gerhard Mentzel: Dank Ihnen…

    …für die freundliche Rückmeldung.

    Und was Ihren recht interessanten Ansatz der religiösen Deutung evolutionärer Prozesse angeht, kann ich Sie nur noch einmal ermutigen, doch selbst einen PrivateBlog zu starten. Das würde eine freundschaftliche Unterscheidung religionswissenschaftlicher und religiöser Diskussionen ermöglichen und ich würde auch öfter vorbeischauen, versprochen!

  7. @ Hussein Hamdan: Das heißt also…

    …nächstes Jahr gibt es auch in Deidesheim erstmals die “Muslim Vote”! Und ich kann sie nicht mehr kriegen! Menno… 😉

    Ganz ernsthaft: Ich finde es klasse, dass Du mitbloggst, Dein “Der Islam” ist noch immer recht frisch und doch schon ein inhaltliches Schmuckstück in der Blogosphäre. Danke, dass Du dabei bist!

  8. @ Petra: Weinprobe

    Naja, einen Schwaben mit Arbeit im Handgepäck auf eine rheinische Weinprobe loszulassen ist natürlich auch ein Kulturschock, der direkt in die Identitätskrise führt! 😉

    Und dann habe ich mit dem Scilogs-Preis noch eine ganze Schatzkiste von Edelweinen gewonnen. Ich sach ja immer: Es gibt sehr starke Indizien dafür, dass Gott – so Er existiert – auch einen ganz eigenständigen Sinn für Humor haben dürfte… 😉

  9. Nochmal Glückwunsch!

    Lieber Michael,
    die SciLogger haben einen sehr würdigen Preisträger gekürt – herzlichen Glückwunsch auch noch einmal im Namen des gesamten Verlags und aller Kollegen hier in Heidelberg!

    Du solltest allerdings Herrn Prof. Dr. blog. M. Huhn nicht allzu sehr loben. Du weißt doch, wie das so einem “Leerstuhl”-Inhaber zu Kopf steigen kann 😉

  10. Glückwunsch

    Na, dann auch von meiner Seite nochmal die herzlichsten Glückwünsche! Trag’ die Fackel weiter, lass’ hell sie brennen in flammenden Blogs, damit der Preisträger vom nächsten Jahr sich noch mehr anstrengen muss, als Du das schon tatest.

    Neulich las ich in der FAZ (in der DRUCKversion, die ich nicht missen möchte), die Antwort von Reich-Ranicki auf die Frage, wie er es denn fertigbrächte, so schön zu schreiben. Er antwortete zugleich lakonisch und lyrisch:

    “Indem ich mir Mühe gebe.
    Sehr viel Mühe!”

    Ich wünsch’ Dir, ich wünsch’ uns allen die Musse zur Mühe, die es braucht, um schöne oder wichtige Dinge gut zu tun!

  11. @ Carsten, Helmut

    Vielen Dank auch Euch! Ist wohl kaum zuviel verraten, wenn ich zugebe, dass mir jeder von Euch beiden mit bestimmten Fähigkeiten und Charakterzügen längst zum Vorbild geworden ist! 🙂

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