Heimat – notwendig und ambivalent

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Theologie im Dialog

Heimat ist in der Tat ein hochemotional besetzter Begriff, da hat Michael Blume recht. Und Herbert Gronemeyer sicher auch, wenn er meint: „Heimat ist kein Ort, Heimat ist ein Gefühl.“
Aber er ist nicht nur hochemotional, er ist auch hochambivalent. Dies ist er insofern, als Heimat immer auch mit Abgrenzung oder gar Ausgrenzung gegenüber dem Nichtheimatlichen verbunden ist. Ist der Weltbürger und Kosmolopit ein heimatloser Geselle, ein Vagabund und Nomade? Und ist der Heimatverbundene derjenige, der rückständig an der Enge seiner kleinen Scholle klebt?

Ich habe diese Ambivalenz von Heimat in meinem Leben in sehr unterschiedlichen Formen erlebt, die ich nun kurz skizziern möchte. Meine geographische Heimat ist ein kleines landschaftlich sehr reizvolles Dorf in Hessen, in dem ich meine Kindheit und Jugend verbracht habe. Es wurde jedoch nie zu meiner seelischen Heimat. Dies lag daran, dass mein heimatvertriebener und mit Krankheit geschlagener Vater niemals in diesem Dorf innerlich heimatlich wurde, wie viele andere Heimatvertriebene wahrscheinlich auch. Wie brisant gerade das Los der Heimatvertriebenen immer noch ist, zeigt der Fall Erika Steinbach und das Berliner Museum für Vertreibung. Die Welt der Schützenvereine, Sportvereine etc., die dörfliche Gemeinschaft mit ihrer Geborgenheit und Vertrautheit, aber auch ihrer Enge, sozialen Kontrolle und Vereinsmeierei blieb ihm verschlossen. Dies übertrug sich auf mich, mir ging es auch so.

Heimat hat seit dem für mich immer den Beigeschmack von Enge, Kumpanei, Rückständigkeit, schlechten Heimatliedern und noch schlechteren schnulzigen Heimatfilmen. Mein Heimatort ist daher niemals für mich Heimat geworden. Ich wollte daher immer in die Weite und Freiheit, Amerika wa,r solange ich denken kann, mein großes Ziel. Aber wenn schon die geographische Heimat nicht ganz leicht für mich war, dann vielleicht die soziale Heimat? Wir leben nicht mehr in einem klar gegliederten Ständestaat, unsere Gesellschaft ist spätestens seit dem II. Weltkrieg durch soziale Mobilität, horizontaler und vertikaler gekennzeichnet. Dies stellt die Beheimatung noch einmal in einen neuen Horizont. Welcher sozialen Heimat fühlen sich die Aufsteiger, welcher die Absteiger zugehörig? Wie brennend diese Frage ist, wird an dem geradezu explosionsartigen Erfolg einer Vereinigung von Arbeiterkindern an den Unis deutlich: www.arbeiterkind.de . Das war auch für mich so. Als Arbeiterkind vom Land, studiert, promoviert, habilitiert – zu welcher sozialen Heimat gehört man da eigentlich?

Was meine kulturelle Heimat betrifft, so teile ich natürlich die Ambivalenz gegenüber unser schmerzhaften deutschen Geschichte. Die ungebrochene Tradition der Vereinigten Staaten – sieht man einmal vom Bürgerkrieg ab – und Englands schienen mir da viel unkomplizierter. Ein Schlüsselerlebnis war, als ich in London im Theater war und dort nach der Aufführung die Nationalhymne gesungen wurde – eine geradezu groteske Vorstellung in Deutschland! Als ich später in den USA an verschiedenen Universitäten als visiting scholar forschte, lernte ich dort überaus liebenswerte Eigenschaften kennen, die ich gern zu meiner kulturellen Heimat zähle. Die Freundlichkeit der Amerikaner, die nahezu unvorstellbaren Ressourcen den den Universitäten – die riesige Firestone Bibliothek in Princeton mag als Beispiel genügen – der ungehemmte Optimismus, die Kraft auch bei Niederlagen wie selbstverständlich neu anfangen zu können, die Risikobereitschaft, Neues auszuprobieren, die Akzeptanz des Erfolges , ohne den Neidkomplex zu aktivieren. All dies scheinen mir Elemente, die einer kulturellen Heimat förderlich sind, aber nicht gerade zu den Stärken Deutschlands gehören.

Und gerade in unserer Zeit der Globalisierung und der Internationalisierung der Wissenschaft und der Universitäten wird die kulturelle Heimat immer wichtiger. Sie muss nicht mehr unbedingt an ein Land gebunden sein. Je öfter ich in den USA war, desto mehr merkte ich auch, dass sich meine Seele amerikanisierte. Scherzhaft habe ich den Amerikanisierungsgrad gegenüber meinen amerikanischen Freunden in Prozentzahlen angegeben. Gegenwärtig taxiere ich ihn auf 15 %. Aber aus der Distanz wurden mir auch die Tugenden der – ich sage es jetzt bewusst so – deutschen Heimat deutlich. Wenn man längere Zeit im Ausland lebt, kommt irgendwann die Krise. Gehört man wirklich dazu? Es fallen einem Dinge auf, die im euphorischen Anfangsrausch unbemerkt geblieben waren. In meinem Fall die Unverbindlichkeit vieler Amerikaner, die Sucht nach Neuem – das ständige „exciting“ und „busy“ sein – die Programmgläubigkeit an den Universitäten, auch der Mangel an „deutscher Gründlichkeit“, der beständige Zwang, sich selbst durch self-promotion zu vermarkten und in den Vordergrund zu spielen, gingen mir je länger desto mehr auf den Geist. Ich habe gelernt, dass es kulturelle Prägungen gibt, die man nicht so ohne weiteres aufgeben kann.

Der Amerikanisierungsgrad meiner Seele wird 20 % sicher nie übersteigen. Gibt es auch eine geistige Heimat und religiöse Heimat? Ein überaus brisantes Thema. Dies umso mehr als sich die über Jahrhunderte festgefügten konfessionellen Milieus sich nach dem II. Weltkrieg nahezu aufgelöst haben. Damit hat auch ihre identitätsbildende Kraft, die früher für ein ganzes Leben selbstverständlich war, aufgehört. Die Unterschiede der Konfessionen werden in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen, die Ökumene holt nach, was im allgemeinen Bewusstsein schon geschehen ist. Wird es zu einer Vermischung der Konfessionen kommen? Noch weiter gedacht, zu einer Vermischung der Religionen?

Der Dialog der Religionen, aber auch ihr Kampf gegeneinander, ist das große Thema des 21. Jahrhunderts. Zugleich sind die Religionen aber sicher auch Ausdruck des menschlichen Strebens nach seelischem und geistigem Wachstum und nach einer Beheimatung, die die Vorläufigkeiten der geographischen, sozialen, kulturellen und geistigen Heimat übersteigt. In meinem Fall führte der Weg über buddhistische Vipassana Meditation, Zen, Yoga zurück in die eigene christliche Tradition. Inzwischen sehe ich es auch als meine Aufgabe an, Wegbegleiter zu sein für Menschen, die eine solche transzendente Heimat suchen, in der sie sich gegenüber allen Wechselfällen des Lebens und allen vorläufigen Heimaten geborgen wissen.

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Wolfgang Achtner ist Professor für Systematische Theologie an der an der Justus Liebig Universität Giessen, sowie Gründer und Direktor der Transscientia Instituts für interdisziplinäre Wissenschaftsentwicklung, Philosophie und Religion. Prof. Dr. Wolfgang Achtner

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